Russland: Spurensuche in Sankt Petersburg
Über 20 Jahre nach meinem letzten Besuch war es im Oktober 2014 soweit: endlich würde ich wieder nach Sankt Petersburg reisen. War ich aufgeregt! Denn in der langen Zwischenzeit war viel passiert. Ich hatte in den letzten Jahren im Rahmen meiner Ahnenforschung fleißig in zahlreichen Foren, Adreßbüchern, Familiendokumenten und weiteren Quellen aller Art recherchiert, um mehr über meine Petersburger Babuschka, ihre Familie und die Vorfahren in Rußland herauszufinden. Und nun wollte ich natürlich alles mit eigenen Augen anschauen – die Wohngebäude, Schulen, Kirchen und Straßen – und dort wandeln, wo meine Ahnen gelebt hatten.
Hatte ich Sankt Petersburg vom September 1994 her noch dunkel, grau, hektisch, unfreundlich und irgendwie unwirklich in Erinnerung, bot sich mir dieses Mal ein völlig anderes Bild. Mich erwartete eine moderne, freundliche und überraschend entspannte Metropole, in der ich mich vom ersten Moment an wohl – um nicht zu sagen: zu Hause – fühlte.
Vorbereitungen
In Vorbereitung auf die Reise hatte ich mir schon eine eigene Karte bei Google Maps erstellt, in der ich alle mir bekannten Adressen eingetragen und visualisiert hatte, an denen Familienmitglieder gewohnt und gearbeitet hatten. So hatte ich eine schöne Übersicht und konnte meine Laufwege planen.
Für die Adreßrecherche habe ich zwei Ausgaben eines Sankt Petersburger Einwohnerverzeichnisses von 1901 und des Einwohnerverzeichnisses von 1913 verwendet, die online zur Verfügung stehen und kostenlos eingesehen werden können. Weitere Jahrgänge habe ich bisher noch nicht entdecken können. Und auch wie ich auf die Quellen gestoßen bin, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen. Aber sie sind auf jeden Fall unglaublich hilfreich gewesen.
Flanieren auf den Spuren meiner Vorfahren
Mit der Karte der Adressen in der Hand konnte es losgehen. Die Sankt Petersburger Innenstadt erkundet man am besten zu Fuß oder mit der U-Bahn.
Die meisten Adressen, an denen meine Urgroßeltern Wanda und Julius Kruse mit ihrer Familie, meine Ururgroßmutter Agnes Skron (geb. Peto) sowie weitere Familienmitglieder lebten und arbeiteten, waren tatsächlich fußläufig von der Eremitage im Herzen Sankt Petersburgs erreichbar. Alle Gebäude stehen noch so, wie sie um die vorige Jahrhundertwende dagestanden haben mußten.
Zum Glück wurde die Stadt ja in den Kriegen nicht zerstört. In den letzten Jahren wurden viele Häuser sogar sehr schön restauriert und saniert, so daß ich mich beim Betrachten fast ein wenig in die Zeit von vor ca. 100 Jahren zurückträumte.
Eine weitere Wohnadresse der Familie meiner Großmutter (1913 gelistet) befand sich noch auf der Wassiljewski-Insel (Васильевский остров) im Delta des Flusses Newa. Diese Gegend machte im Gegensatz zur prunkvollen Innenstadt einen etwas bescheideneren Eindruck.
In meinen Augen spiegelt die Adresse in der Gegend und die Art des Wohnhauses schon die beginnende Ausgrenzung und den drohenden „Abstieg“ der deutsch- und baltischstämmigen Familien Skron und Kruse aus der Petersburger gehobenen Gesellschaft wider, der 1917 mit der Ausweisung aus Russland endete.
Aber bei den Recherchen zum soziopolitischen Hintergrund des Lebens der „Deutschen“ im Russland der Endphase der Zarenzeit stehe ich wirklich noch am Anfang. Ein spannendes Thema, das sicher noch weitere Blogbeiträge füllen kann und wird.
Mehr dazu, wie ich die Adressen und weitere Informationen meiner Vorfahren in Sankt Petersburg gefunden habe, findest Du in meinem Beitrag Adressen finden im Sankt Petersburg der Zarenzeit.
Bildnachweise:
- Sankt Petersburg, Karte 1905: Meyers Großes Konversations-Lexikon
- Sankt Petersburg, ulitsa Mochowaja 3, Wohnhaus Kruse 1901: Anja Klein, Oktober 2014
- Sankt Petersburg, 5-ja linija V.O. 46, Wohnhaus Kruse 1913: Anja Klein, Oktober 2014